Jan Erbelding
release the joy
2022

  1. release the joy
    Release the Joy ist als Titel dem 90er-Jahre Ambient House Projekt „Opus III“ und genauer, deren ersten Album ›Guru Mother‹ entlehnt. Etwas sanfter noch und weicher als das erste ›Mind Fruit‹ wabert ›Guru Mother‹ noch ätherischer, der technoide Sound ist noch etwas zurückhaltender und bleibt trotzdem auch irgendwie weiter Dancefloor tauglich, aktiv drängend und schnell und super chill und weird spacig, alles gleichzeitig.

  2. Die These
    Seit paar Jahren schon arbeite ich zu einer These Mark Fishers, die er, wie ich irgendwann feststellen musste, so gar nicht aufgestellt hat. Kann sein, dass ihr das schon mal von mir gehört habt. Also diese These, meine These, die missverstandene These, Mark Fisher These habt ihr vielleicht schon mal, also weil ich hab das aus meinen ›Gustav Landauer Fanboy Text‹ rauskopiert und hier noch mal rein gepasted hab, in Teilen zumindest, also weil das als einer der Ausgangspunkte auch für diese Ausstellung hier verstanden werden kann. Zwar hat die Zeit immer mal was angebaut oder abgesplittert, aber noch immer ist mir diese These wichtig. Wichtiger als das wabernde spacy ambient house. Our house is an ambient house. Es geht auch immer viel um Stimmungen, klar. Bei der These, die ich zuerst bei Mark Fisher missverstanden habe, geht es grob gesagt um Psychedelik oder Psychedelisches, um die 68er Revolution, um sexuelle Befreiungen, und verändertes Bewusstsein. Es geht um die Frühromantik und das Aufbrechen bürgerlicher Werte, es geht um die Entfesselung der Fantasie als Motor für Veränderung. Es geht um Utopien und Emanzipation, es geht um Halluzinationen und ein Zersplittern der Wirklichkeit, es geht darum wie Outerspace und Abgespacetes helfen können, doch irgendwann dem zu entkommen, was Mark Fisher „kapitalistischen Realismus“ nennt. Damit meint er das Gefühl „dass der Kapitalismus das einzig gültige politische und ökonomische System darstellt,“ und „dass es mittlerweile fast unmöglich geworden ist, sich eine kohärente Alternative dazu überhaupt vorzustellen." Fisher sieht aktuell – also eigentlich in den 2010er Jahren, aber hey – aktuell also, arg prekäre Bedingungen, um wieder zu etwas Neuem zu kommen. Mit zu Neuem kommen meint Mark Fisher, zu einem Ende des Kapitalismus und damit zu alternativen Formen, des gemeinsamen Wirtschaftens und Zusammenlebens. Und klar, so hab ich‘s verstanden, deswegen brauchen wir die Fantasie, die Psychedelika, den Rausch und den Irrsinn, die Ekstasen, die Illusionen, Visionen, Fiktionen, alle Einbauten, Umbauten Verzerrungen, Glitches und Zerschredderungen herrschender Wirklichkeit, um wenn auch nur für Augenblicke zumindest minikleine Splitter eines anderen, solidarischen Gesellschaftssystem überhaupt auch nur wieder denken zu können. Genau da setzt Fisher an, dachte ich. Natürlich auch vor allem weil ich Künstler bin, und ja genau auch das mache, oder machen will und genau auch das schreibe oder schreiben will und das wie ich finde, eine ganz gute Arbeitsgrundlage ist. Die These. Die wie ich festgestellt hab, auch nicht nur bei Mark Fisher zu finden ist. Was natürlich ein bisschen die ganz attraktive Story vom Missverständnis als Ausgangspunkt etwas schmälert. Aber Splitter lösen sich und Splitter bauen sich an. Alles wabert, irgendwas zerbricht. Nichts bleibt sich gleich. Am direktesten hab ich neulich erst die These bei Ruth Levitas in ihrer Publikation „Utopia As Method“ wiedergefunden. Auch sie argumentiert für das Denken über bestehende Realität raus. Auch sie argumentiert dafür, sich den Verzerrungen und Träumereien und Sehnsüchten hinzugeben. Go utopian thinking! Sie schreibt: „…[utopian thinking] provides a critical tool for exposing the limitations of current policy discourses about economic growth and ecological sustainability. It facilitates genuinely holistic thinking about possible futures, combined with reflexivity, provisionality and democratic engagement with the principles and practices of those futures. And it requires us to think about our conceptions of human needs and human flourishing in those possibilities. The core of utopia is the desire for being otherwise, individually and collectively, subjectively and objectively. Its expressions explore and bring to debate the potential contents and contexts of human flourishing. It is thus better understood as a method than as a goal […]” (Ruth Levitas – Utopia As Method. S. xi) Levitas spricht, in dem zugegebenermaßen eher kurzen Ausschnitt in Utopia as Method, den ich bisher gelesen habe, viel über Ernst Bloch und seine Theorie, dass es einen, wie er sagt, Überschuss im menschlichen Bewusstsein gibt. Utopisches Denken ist für Bloch nicht einfach spinnerte oder esoterische Träumerei von Zukunft – für Bloch ist dieser Überschuss integraler Bestandteil des Menschen und dieser Überschuss findet seinen Ausdruck unter anderm eben in sozialen Utopien, in Kunst oder Musik und eh immer in Träumereien. Mehr weiss ich nicht über Bloch, als diese paar wenigen Zeilen. Und kurz gegoogelt scheint er bisschen das Schicksal einiger Denker:innen zu teilen, die sozialistische Gesellschaftsstrukturen ohne den Strudel des Kollektivs denken wollen, die ein utopisches, träumerisches Denken vorschlagen und die dafür jetzt immer auch bisschen als verträumte Utopist:innen belächelt werden. Hier brechen weitere Splitter ab. Und hier breitet sich auch ein bisschen meine eigene Ratlosigkeit aus, der ich gar nicht mal so viel entgegensetzen kann. Es stimmt wohl, dass alle Denker:innen sozialer Utopien von der Realität, von den Tatsachen bisher als gescheitert markiert wurden. Und nicht zu vergessen, die totalitären Diktaturen, die auch alle als Utopien gemeint waren und alle Utopien, die hier und jetzt, immer noch Träume vom Faschismus sind. Nach Ruth Levitas ist für Bloch das utopisch Denken und Träumen nur der erste Schritt, eine notwendige Vorarbeit, welcher dann ein Wille zur Veränderung folgt und die konkrete Arbeit an der Utopie anstößt. Weil, klar, sonst keine Utopie. Vielleicht zeigt sich, an der Tatsachenrealität vor allem wie fragil, wie komplex eine Gesellschaftsordnung der Freiheit, Gleichheit, Solidarität auszuhandeln und aufrecht zu erhalten ist. Und um jetzt in Schleifen zu denken, wendet sich die Utopie, das utopische Denken, der Überschuss, doch genau gegen herrschende Realität, gegen eine Esoterik der Tatsachen, gegen die Realität genannte Fiktion?1 „Aporie. Es gibt zwei Wege. Du nimmst keinen von ihnen, weshalb sie dich einen Träumer nennen. Heißt das du stagnierst, oder springst du ins Reale der Ausweglosigkeit zurück?“ (Markus Steinweg – Metaphysik der Leere. S. 180) Ja zur Utopie bedeutet also auch über bestehende Geschichten und Erzählungen, Bilder, Codes und Träume drüber raus zu wuchern. Ja zur Utopie bedeutet, die Traurigkeit des Bestehenden zu umschlingen, zu überwachsen. Ja zur Utopie bedeutet feingliederig sporenhaft myzelig rhyzomige Wucherungen durch die Wirklichkeit zu bohren. Ja zur Utopie bedeutet Bestehendes einzuspeicheln, zu verflüssigen, es leckend und genussvoll abzutragen, sich das einzuverleiben, zu verdauen, auszuscheiden und das Ausgeschiedene als Dünger wieder zu verwenden. Ja zur Utopie bedeutet auch, noch mal von Steinwegs Definition der Aufgaben einer zeitgenössischen Philosophie beeinflusst, einerseits eine Begrenzung „der rationalistischen Anmaßung“, und andererseits Widerstand „gegenüber der Versuchung des Irrationalismus.“ (Markus Steinweg – Inkonsistenzen. S. 30). Und trotzdem bin ich irgendwie auch ziemlich lost. Vielleicht gehts genau auch darum.

  3. feeling so baroco
    Ich bin seit Anfang des Jahres 22 kleines bisschen obsessed mit Barock. Ich schaue mir natürlich auch viele so barocke Gebäude an, aber vor allem gibt es so eine Vermutung, dass der Begriff, als twisted Neubau, sehr gut für mein aktuelles Gefühl in der Welt zu sein funktioniert. Ein Gefühl wie gesagt, es geht auch um Stimmungen. Splitter tauchen auf und andere fallen ab, die These bröckelt und weitet sich. Die eigene Unsicherheit steigt und Vermutungen, vage Lösungsansätze tauchen an anderen Stellen auf. Linearität scheint mir immer weniger faktisch vorhanden, auch wenn mein Gehirn weiter alles dafür tut. Seit Monaten das Gefühl alles ist zu viel. Und es hört nicht auf. Seit Monaten das Gefühl jetzt dann gleich müsste der Punkt kommen, an dem sich das dann auch äußern kann, einen Ausdruck findet dass alles für mich, sich um mich mehr und mehr anhäuft, noch mehr wird, überhandnimmt, endlich den höchsten Punkt erreicht und von dort aus dann endlich die Ahnung zerhaut, die ewige Steigerung abbricht, diese in Bestätigung wandelt – farblich, klanglich, alles; physisch psychisch sichtbar spürbar und dem vielzu viel greifbare Form verleiht. Ich wünsch es nicht, aber ich sehe auch nichts. Alles wird nur mehr und mehr, häuft sich an in mir um mich, und alles scheint dabei wie immer. Schnitzel, Schnörkel, Pömp und Wolken, Stuck und entgegen der Zeit des echten Barock ist die Macht aus dem von überall sichtbaren Zentrum verschwunden. Was die Sonne war ist unsichtbar geworden und beherrscht uns trotzdem noch kaum greifbar in uns selber oder maximal aus unscheinbaren Funktionsbauten raus, während die Vermögensverteilung 2022 noch einseitiger zu Gunsten der Reichen ist, als zur Zeit des Absolutismus. Das barocke Gefühl. Eh immer emotional in mehrere Richtungen zeitgleich. Was soll Kunst tun und ich kann kaum was anderes als Kunst tun. Beruflich gesehen. Ich mache das. Ich bin traurig wegen der Utopien, weil wie vergeblich und ich bin hoffnungsvoll wegen der Utopien, weil, ja weil. Irgendwie machen die mich arbeiten als Künstler und irgendwie rendern die jede Arbeit als Künstler:in auch irgendwie sinnlos und dumm, weil was bringt’s. Also konkret? Und das ist okay. Barock. Antimodern. Ich behalte den Pathos und meine eigenen Banalitäten, füge Schleifen und Schleifchen und ineinander Verdrehtes hinzu. Bestimmt würden mir Deleuze und Guattari zustimmen, während ich noch die Kunstakademie Professoren rufen höre Mädchenfantasiealarm!, und die knarzenden hohlen Höhlen in denen die Augen der Moderne rollen. Das laute Knarzen ist wie so oft das Geräusch der ureigenen Angst vor diesem immer erneut, in jeder Zeit, in jeder Generation, jedes Jahr und jede Minute von außen an dich hin, dir vehement entgegengebrachten Vorschlag, doch auch mal wieder von den lange schon selbstgesetzt und mittlerweile allzu lieb gewonnenen Dogmen Abschied zu nehmen. Antimodern zu sagen ist natürlich nie ganz einfach, aber es ist auch eine Behauptung, die ich gerne aufstelle und die genauso in die Zukunft zeigend emanzipatorisch gemeint ist, wie die Behauptung Barock. Sich allem wieder öffnen – nicht ohne Ausnahmen, nicht ohne Widersprüche – aber vielem erst mal ohne Furcht. Antimodern sein, wenn Modernsein bedeutet, den Tränen abschwören zu müssen und der immer überbordenderen Fülle und den ganzen Schnörkeln und wenn Moderne bedeutet sich statt in alten Hierarchien, einfach nur in neue begeben zu müssen. No Linear Fucking Time.

  4. release the joy
    Als Ausstellung war das nicht unbedingt der Versuch den Thesen oder dem was ich sonst so in meinen Texten schreibe noch eine Bildebene hinzuzufügen. Ich will keine Beweisführung antreten, sondern wollte vor allem nicht alleine sein, wollte andere Stimmen, die was anderes sagen – nicht unbedingt das Gegenteil der These, und nicht unbedingt mit Sprache. Andere Stimmen in der Ausstellung zu versammeln, vom hier gesagten sich in entfernen, langsam in einer ganz selbstverständlichen Bewegung aufblicken, vom Text weg, von mir selber wegkommen und in andere Lesarten einfinden.


Exhibitions

release the joy
Jan Erbelding, Stefan Fuchs, Jakob Gilg, Gertrude Honzatko-Mediz, Pauline Nolte, Roberta Di Paolo, Maria VMier
24.03. — 21.04.2022